Projekt Entscheidungsnavi
In fünf Schritten zur reflektierten Entscheidung
Seit Projektstart im Jahr 2017 wird das Entscheidungsnavi stetig verbessert und weiterentwickelt. Der Weg zu einer reflektierten Entscheidung besteht aus fünf Schritten:
Im ersten Schritt wird die Entscheidungsfrage proaktiv formuliert. Dabei ist es hilfreich, einfache Ja-oder-Nein-Fragen zu umgehen und stattdessen auf offene W-Fragen zurückzugreifen, um größere Entscheidungsfreiräume zuzulassen.
Im zweiten Schritt werden die fundamentalen Ziele der Entscheidung formuliert. Fundamentale Ziele sind übergeordnete Werte, die teilweise nicht direkt problemlos identifiziert werden können, sondern für die es einige Überlegungen bedarf. Es kann zielführend sein, sich selber immer wieder die Frage „Warum?“ zu stellen, um die fundamentalen Ziele zu formulieren.
Der nächste Schritt soll dem Entscheidungsträger alle möglichen Handlungsmöglichkeiten aufzeigen. Da es manchmal schwierig sein kann, alle Handlungsmöglichkeiten zu identifizieren, bietet das Entscheidungsnavi verschiedene Brainstorming-Methoden, die als Denkanstoß für neue und kreative Handlungsmöglichkeiten fungieren sollen.
Im vierten Schritt werden die Auswirkungen der Entscheidung eingeschätzt. Das Entscheidungsnavi klärt über mögliche Verzerrungsfehler auf, die beim Reflektieren über die Auswirkungen der Entscheidungen auftreten können.
Im letzten Schritt sollen die Handlungsalternativen mithilfe des subjektiven Nutzens und der Gewichtung der fundamentalen Ziele bewertet werden. Zusätzlich bietet das Entscheidungsnavi umfangreiche Sensitivitätsanalysen, Pro und Kontra-Vergleiche und Robustheits-Tests. Gleichzeitig wird im letzten Schritt dem intuitiven Bauchgefühl eine besondere Stellung eingeräumt, weshalb Abweichungen des analytischen Ergebnisses vom Bauchgefühl erkannt werden sollen und unter Umständen korrigiert werden. Erst dann erfolgt die konsequente Umsetzung der Entscheidung.
Anwendung in Gesellschaft und Politik
In gesellschaftlichen und politischen Fragen hat das Entscheidungsnavi bereits Anwendung gefunden. Tim Höfer vom E.ON Energy Research Center bewertete im Rahmen des Kopernikusprojekts ENSURE verschiedene Handlungsmöglichkeiten zur Energiewende mit Hilfe des Entscheidungsnavis und konnte seine reflektierte Entscheidung letzten Endes umsetzen. Auch die RWTH-Studierenden wurden ermutigt, das Entscheidungsnavi in Projektmodulen des Lehr- und Forschungsgebiets Entscheidungsforschung und Finanzdienstleistungen zu nutzen und verschiedene gesellschaftliche oder politische Projekte in Angriff zu nehmen.
In einer weiteren Anwendung wurde an einem Navi-Parteien-Check für die Bundestagswahl 2021 gearbeitet. Die Entwicklung eines neuen Wahl-O-Mats soll Wähler und Wählerinnen ermöglichen, ihre Gewichtung der eigenen Ziele mit den fundamentalen Zielen der Parteien zu vergleichen. Das sich bereits in der Anwendung befindliche Internet-Tool ist simpel aufgebaut. Fünf abstrakt formulierte Ziele bietet es dem unsicheren Wähler an: Chancengleichheit, Leistungsgerechtigkeit, Selbstbestimmung, Umwelt- und Naturschutz und Internationale Verantwortung. Auf einer Skala soll er nun angeben, wie wichtig ihm jedes dieser Ziele ist. Anhand dieser Angaben gibt der Navi-Parteiencheck dann drei Parteien aus, die ähnliche Prioritäten setzen. Prof. Dr. Rüdiger von Nitzsch möchte diese Rangfolge aber nicht als Wahlempfehlung verstanden sehen, sondern eher als Einblick in die Prioritätensetzung der Parteien und als Denkimpuls zur Reflexion der eigenen Werte.
Seit Frühjahr dieses Jahres gibt es auch ein Buch, in dem die Methoden des reflektierten Entscheidens anschaulich zusammengefasst sind: von Nitzsch, Rüdiger & Methling, Florian, Reflektiert Entscheiden – Kompetent mit Kopf und Bauch, Frankfurter Allgemeine Buch Verlag, 2021.
Der Online-Wegweiser zur wohlüberlegten Entscheidung
Sich zu entscheiden, fällt vielen Menschen schwer. Aber manchmal gibt es Situationen, in denen wichtige Entscheidungen schlichtweg getroffen werden müssen und ein weiteres Hinausschieben nicht mehr möglich oder sinnvoll ist. Mit einem neuen Tool, welches von einem Team um Prof. Rüdiger von Nitzsch an der RWTH Aachen entwickelt wurde, wird jetzt nicht nur den Studenten der Vorlesung „Entscheidungslehre“ das Entscheiden beigebracht. Es steht auch im Internet jedem Interessierten zur Verfügung, der eine Unterstützung bei einer anstehenden bedeutenden Entscheidung sucht.
Wichtige Bestandteile des Tools (www.entscheidungsnavi.de) sind zum einen Anleitungen zur Reflektion der eigenen Werte und Ziele, die für die anstehende Entscheidung von Bedeutung sind. Darüber hinaus werden auf strukturierte Art und Weise Überlegungen angeregt, ob es nicht doch noch mehr Handlungsalternativen in der Entscheidungssituation gibt, als man vielleicht vorschnell denken mag. Berücksichtigt werden zudem die aus der psychologischen Entscheidungsforschung bekannten Stolperfallen, welche Menschen häufig daran hindern, die im Sinne der persönlichen Ziele und Werte beste Entscheidung zu finden. Hierzu gehören z. B. typische Verzerrungen bei Wahrschein-lichkeitsschätzungen oder die Gefahr, sich selbst zu überschätzen. Ungeachtet dieser vielen psychologischen Aspekte besteht der Kern des Entscheidungsnavi aus einem quantitativen Modell, welches am Ende Nutzenwerte für alle betrachteten Handlungsmöglichkeiten ableitet. Im besten Fall ist sich der Anwender am Ende sicher, wie seine Entscheidung aussehen sollte. Falls nicht, hat er durch die systematische Reflektion des Problems schon einmal wertvolle Antworten auf die Frage gefunden, auf was es ihm in der Entscheidung eigentlich ankommt und von welchen Teilaspekten seine Entscheidung letztlich abhängen sollte.
Als erste wichtige Anwendung soll das Entscheidungsnavi den ca. 1.000 studentischen Hörern der Vorlesung Entscheidungslehre dabei helfen, sich gut zu überlegen, wie sie ihr Studium im weiteren Verlaufe genau ausgestalten sollten: Welche Wahlfächer soll ich wählen, soll ich ein Auslandssemester machen oder lieber noch ein Praktikum einschieben? Und ist es vielleicht sinnvoll, mich ehrenamtlich z. B. in der Fachschaft oder in einer anderen Organisation zu engagieren? Alle Erfahrungen aus diesem Projekt sollen in Weiterentwicklungen des Tools fließen, um letztlich auch einem breiteren Anwenderkreis eine gute Entscheidungshilfe in wichtigen Fragen geben zu können. Gedacht ist beispielsweise an eine Light-Version des Tools für einen Einsatz auch in Schulen. In der aktuellen Fassung ist das anspruchsvolle Tool noch nicht für einen entsprechenden Einsatz in der Breite ausgestaltet. Wer also heute Hilfe bei einer anstehenden Entscheidung beim Entscheidungsnavi sucht, wird nur dann wirklich davon profitieren, wenn er bereit ist, sich einige Stunden konzentriert mit allen Schritten des Tools zu beschäftigen. Der WDR berichtete über das Projekt in der Lokalzeit.
Ferner interviewten die Süddeutsche Zeitung sowie die Welt Prof. Nitzsch zum Entscheidungsnavi. Die Interviews können Sie dort nachlesen.
Zudem können Sie sich auf dem Blog zum Entscheidungsnavi immer über die neuesten Entwicklungen und Artikel zum Tool informieren.
Kürzlich machte das Magazin Wir Westerwälder das Thema Entscheidungen in der aktuellen Ausgabe (Ausgabe 17, 12/2020) zum Kernthema und stellte das Entscheidungsnavi vor. Dabei verwies das Magazin auch auf das neue Buch „Reflektiert entscheiden – Kompetent mit Kopf und Bauch” von Prof. Rüdiger von Nitzsch und Florian Methling, die Methoden vorstellen, die zukünftig bei der Entscheidungsfindung unterstützen. Sie plädieren außerdem für eine Kombination aus intuitiver und rationaler Entscheidung.